top of page

Pflichtverteidiger

Das Gericht ordnet in gesetzlich vorgesehenen Fällen dem Angeklagten im Strafverfahren einen Pflichtverteidiger bei. Dies hat, anders als bei Prozesskostenhilfe, nichts mit den finanziellen Verhältnissen des Betroffenen zu tun. In den Fällen, in denen ein Pflichtverteidiger von Gesetzes wegen erforderlich ist, den so genannten „Fällen der notwendigen Verteidigung“, soll sichergestellt sein, dass der Betroffene sich dem Strafverfahren nicht ohne Rechtsanwalt und Verteidiger ausgesetzt sieht. Das Gesetz sieht zum einen zwingende Fälle vor, in denen ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist.

Dies ist dann der Fall, wenn:

-die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet

-dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird

-das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann

-gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird

-der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird

-zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung in Frage kommt

-ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird oder wenn

-der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist.

Das Gesetz sieht jedoch in § 140 II StPO auch noch eine „Generalklausel“ vor, die es ermöglicht auch in anderen Fällen einen Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Nach obergerichtliche Rechtsprechung sind Gerichte insoweit angehalten, einen Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn etwa

-eine Freiheitsstrafe von etwa einem Jahr mit oder ohne Bewährung droht

-eine Gesamtfreiheitsstrafe von etwa einem Jahr droht

-bereits gewährte Strafaussetzung in widerrufen werden könnten

-einem Ausländer bei einer Verurteilung die Ausweisung droht

-bei einer Verurteilung der Widerruf einer Zurückstellung der Strafe gemäß § 35 BTMG droht

-wenn in erster Instanz das Schöffengericht des Amtsgerichts zuständig ist

-zwei Behörden unterschiedliche Rechtsansichten sind

-in der Berufung durch die Staatsanwaltschaft das Strafmaß zum Nachteil des Angeklagten abgeändert werden könnte

-eine besonders schwere Rechtslage vorliegt

-eine DNA-Analyse vorgenommen werden soll oder wurde

-Angaben von Polizeibeamten widerlegt werden müssen, ohne dass andere Beweismittel zur Verfügung stehen

-mehrere Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen

-bereits ein Angeklagter einen Pflichtverteidiger hat

-die Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte schuldunfähig ist

-ein Zeugenbeistand auftritt

-das Tatopfer anwaltlich vertreten ist

-die Nebenklage anwaltlich vertreten ist

-der Angeklagte ein hohes Alter (über 80) hat

-Der Angeklagte unter Betreuung steht

-der Angeklagte wegen einer schweren Drogenabhängigkeit sich nicht verteidigen kann oder

-der Angeklagte eine erhebliche Leserechtschreibschwäche hat.

Ob ein Pflichtverteidiger nach der Generalklausel beigeordnet werden muss, ist jedoch stets nach dem Einzelfall zu beurteilen.
Rechtsanwalt Dr. Jan van Lengerich prüft für Sie diese Voraussetzungen. Er ist bundesweit als Pflichtverteidiger und Rechtsanwalt tätig
 

bottom of page